Das Entstehen einer Ikone
Der Hermès-Schal
Gegründet von Thierry Hermès im Herzen von Paris im Jahr 1837, wurde das Luxusunternehmen inmitten von Hufgetrappel, das den rhythmischen Tanz der Pferde auf den belebten Straßen und den Puls der Moderne gleichermaßen widerspiegelte, geboren. In der Rue Basse-du-Rempart eröffnete Hermès sein Atelier und verband dabei die Kunst des Pferdesports mit dem Geist einer Stadt, die sich wie selten zuvor im großen Aufbruch befand.
(Ikone) Hermès´ sorgfältig gefertigte Pferdegeschirre, die auf der Weltausstellung 1867 in Paris gefeiert wurden, verbanden Schlichtheit mit unverwüstlicher Eleganz. Die Maison wurde für ihre exquisite Lederverarbeitung bekannt und belieferte die europäische Aristokratie und den Adel mit eleganten Sätteln und Geschirren. Mitte des Jahrhunderts war die Marke zum vertrauenswürdigen Namen für wohlhabende Reiter:innen geworden und zementierte damit ihr Vermächtnis in Sachen Luxuslederwaren. Als Eisenbahnen und Automobile die Pferdekutschen ablösten, passte Hermès seine Expertise an eine sich verändernde Welt an und expandierte in den Bereich der luxuriösen Reiseartikel – von Lederkoffern bis hin zum legendären Seidenschal. Lassen wir die Reise beginnen.
Der Schal wird geboren
Angeregt durch die Reiselust der Pariser:innen stellte Hermès’ Sohn Émile 1937 seinen ersten Seidenschal vor – „Jeu des Omnibus et Dames Blanches“ entworfen von Robert Dumas, Émiles Schwiegersohn. Er wurde von Reisenden, der Aristokratie und stilvollen Frauen geliebt und verband dabei Mode mit Funktion. Hergestellt aus feinster chinesischer Seide, gewebt zu einem Stoff, der doppelt so robust ist wie der seiner Konkurrenz, setzte er einen neuen Standard in Sachen Seide.
Hermès und die filmische Bohème
Eine von Robert Dumas, der das Unternehmen seines Schwiegervaters übernahm, in den 1930er Jahren entworfene Handtasche wurde 1956 zur Ikone, als Grace Kelly, amerikanischer Filmstar und spätere Fürstin von Monaco, damit fotografiert wurde. Ihr zu Ehren wurde sie in „Kelly Bag“ umbenannt und festigte die royalen Verbindungen von Hermès. 1959 verwandelte Grace Kelly auf geniale Weise einen Hermès-Schal in eine Schlinge für ihren verletzten Arm. Damit rückte der Schal plötzlich ebenfalls ins Zentrum des Blitzlichtgewitters der Paparazzi.
Zeitlos und elegant fesselte der Hermès-Schal die französische Kino-Bohème. Filmikone Romy Schneider trug ihn mit lässiger Eleganz und wechselte wie selbstverständlich von klassischer Raffinesse zu einem entspannten Chic. Die Verbindung zum französischen Kino nahm damit ihren Lauf. Jane Birkin, die britisch-französische Schauspielerin, bekannt für ihren mühelosen Stil, integrierte Hermès-Seide nahtlos in ihre 70er-Jahre-Looks. 1984 führte eine zufällige Begegnung auf einem Flug von Paris nach London mit Jean-Louis Dumas, dem Sohn von Robert, zur Kreation der legendären „Birkin Bag“. Inspiriert von Janes Suche nach der perfekten Tasche für ihre Bedürfnisse als junge Mutter, wurde die „Birkin“ kreiert – geräumig, elegant und absolut zeitlos. Jane wurde zu einer wahren Muse der Marke.
Eine leere Leinwand, offen für ausdrucksstarke Formen
Seit 1937 wurden bei Hermès über 2.000 Schals entworfen, viele davon mit den ikonischen Pferdemotiven. Der zeitlose Brides de Gala, der 1957 eingeführt wurde, hat mittlerweile mehr als 70.000 Exemplare überschritten, und bis Ende der 1970er Jahre wurde alle 25 Sekunden ein Schal verkauft – was seinen legendären Status mit über 1,1 Millionen Schals weltweit festigte.
Die Seidenschals von Hermès sind gewebte Metaphern, die die Fantasie beflügeln. Eine höchst anregende Spielwiese für Kreative aller Art. Im Laufe der Jahre haben mehr als 300 Illustrator:innen die Sprache des Hermès-Schals geprägt. Er ist mehr als nur ein Accessoire, er ist ein sorgfältig komponiertes Objekt und die einzige Kreation aus dem Hause Hermès, die von ihren Designer:innen signiert wird. Jeder Schal erzählt eine Geschichte – in Farben und Formen. Er verkörpert Schöpfung, Bewegung und Neuerfindung; er geht neue Wege, weckt den Eskapismus und umarmt den grenzenlosen Geist der Freiheit. Die neueste Crush-Kampagne von Hermès verkörpert diese Vision in vollem Umfang.
Kunsteditionen und Sammlerstücke
Der offene Geist von Robert Dumas förderte bemerkenswerte Kooperationen mit außerordentlichen Talenten wie A. M. Cassandre, Philippe Ledoux, Henri de Linarès und Raoul Dufy, um nur einige zu nennen. Auf der Grundlage dieses Erbes beginnt Jean-Louis Dumas die Zusammenarbeit mit verschiedenen Kunstschaffenden.
Für seine erste Seidenkunstedition hat sich Hermès mit dem Farbmeister und Bauhauskünstler Josef Albers zusammengetan und sechs Stücke aus seiner Serie „Homage to the Square“ in limitierter Auflage reproduziert. Albers suchte in seiner Arbeit nach unendlichen Farbvariationen innerhalb einer festen Form – dem Quadrat. Mit der Reproduktion seiner sechs Werke auf Seide konnte Hermès sein Wissen in Sachen Siebdruck unter Beweis stellen und die „Edge-to-Edge“-Technik so verfeinern, dass die Farben nahtlos ineinander übergehen. Diese Edition war der Beginn der Vision, eine Brücke zwischen Handwerk und Kunst zu schlagen.
Die Kollektion wird erweitert
Der zeitgenössische Künstler Daniel Buren, trug mit seinen „Foto-Souvenirs“ zur zweiten Ausgabe bei. Der abstrakte japanische Künstler Hiroshi Sugimoto gestaltete die dritte Ausgabe, inspiriert von den wissenschaftlichen Experimenten Newtons und Goethes über den Ursprung der Farben, den Zerfall des Lichts und die emotionale Wirkung auf den Menschen. Das Projekt stellte mittels Tintenstrahldruck zarter Farbverläufe auf leichtem Seidenköper her – eine technische Herausforderung für Hermès Éditeur. „Couleurs de l’ombre“ war damit geboren.
Für die vierte Ausgabe lud Hermès Julio Le Parc, eine führende Gestalt der kinetischen und optischen Kunst, ein, den ikonischen Seidenschal neu zu gestalten. Seine Vision, „Variations autour de La Longue Marche“, wurde zu einer lebendigen Hommage an die Farbe. Seine Entwürfe ziehen das Auge in ein raffiniertes Spiel aus labyrinthischen Formen sowie Strukturen aus Kurven und Gegenkurven.
„Zeichnen ist alles bei Hermès, und alles beginnt mit dem Zeichnen.“
Pierre-Alexis Dumas
Zu den Meilensteinen der Druckgeschichte gehören mit Sicherheit auch diese Designs: „La Femme au Carre Hermes Scarf“, entworfen 2005 von Bali Barret, einer der einflussreichsten Seidendesignerinnen von Hermès. Sie kreierte neue Formate und rekrutierte weitere Kunstschaffende für die Maison. Der Schal „Please, Check-In“, der 2009 von Dimitri Rybaltchenko entworfen wurde, bringt eine perfekte Dosis Humor, indem er mittels Röntgenblick Einblicke in eine Kelly-Tasche gewährt. Dort werden verborgene Schätze und raffinierte Details enthüllt.
Eine abstrakte Verschmelzung zweier Häuser fand im Frühjahr/Sommer 2013 mit der Kollaboration Hermès x Comme des Garçons statt, die als „Comme des Carrés“ bekannt ist und von Rei Kawakubo, der Gründerin und Kreativdirektorin von Comme des Garçons, initiiert wurde. Kawakubo wandte sich an Pierre-Alexis Dumas, den künstlerischen Leiter von Hermès, mit der Idee, den ikonischen Seidenschal (Carré) von Hermès neu zu interpretieren. Die Zusammenarbeit, die 2013 erschien, vereinte die avantgardistische Ästhetik von Comme des Garçons mit der zeitlosen Handwerkskunst von Hermès. Das Ergebnis war eine Reihe an Schals in limitierter Auflage, die klassische Motive mit kühnen, unerwarteten Designs kombinierte.
Mode als Kunst und Seide als ihre Leinwand
Unter der Leitung von Hermès-Chefdesigner Christophe Lemaire (2010 bis 2014) entwickelte das Modehaus seine charakteristischen Seidenschals weiter und integrierte sie regelmäßig in die Ready-to-Wear-Kollektionen. Die Teile mit Mosaik- und Tropenmotiven werden von Hermès-Kunsthandwerker:innen gefertigt.
Seit 2014 hat Hermès’ Künstlerische Leiterin für Damen Ready-to-Wear, Nadège Vanhee-Cybulski, die Marke weiterentwickelt, indem sie das reiche Erbe mit modernen Designansätzen vereint. Nadège arbeitet auch eng mit Cécile Pesce zusammen, der Kreativdirektorin für Seide, um die Seidenkreationen auf dem Laufsteg zum Leben zu erwecken.
Bei Hermès betrachtet man Seide als ein lebendiges Kunstwerk, das sich kontinuierlich weiterentwickelt. Als kulturelle Ikone verkörpert der Schal eine zeitlose Ästhetik, deren Designcodes weltweit verstanden werden. Sein Design überdauert die Epochen und entwickelt sich ständig weiter. Die Reise kann also weitergehen.