Die Hüter der
Almadraba

Culinary and Pleasure

Der Stolz auf die Almadraba, einer traditionellen Fangmethode für Thunfische, ist an Spaniens südlichstem Zipfel deutlich zu spüren. Maison Ë hat die Blauflossenthunfische begleitet – vom Boot im Hafen von Barbate bis ins Hauptquartier des Fischereiunternehmens Gadira und in jene Restaurants, wo die verschiedenen Cuts der Fische im Mittelpunkt stehen.

(Fischen)Wenn Rufe der Sirenen, eine phönizische Fangmethode, andalusische Männer und japanisches Know-how zusammenkommen, hat man es mit dem vielleicht besten rotfleischigen Fisch der Welt zu tun: dem Almadraba-Thunfisch. Ob es tatsächlich Sirenenrufe sind wie nach alter andalusischer Lesart oder doch eher biologische Instinkte, die in dieser Geschichte eine Rolle spielen, ist letztlich Glaubenssache. Jeden Frühling jedenfalls schwimmt der Blauflossenthunfisch, so befiehlt es ihm seine Natur, vom kühlen Atlantik durch die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer, um dort zu laichen. Und zwar genau in jener Phase, in der sein Fleisch am köstlichsten schmeckt, weil es den idealen Fettanteil hat – und immer auf derselben Route.

Das machten sich schon die Phönizier in der Antike zunutze: Sie entwickelten für den Thunfischfang die Almadraba, ein mobiles Stellnetzsystem mit mehreren „Kammern“ in Küstennähe, in das ein Teil der auf Wanderschaft befindlichen Tiere hinein schwimmt. Die Almadraba wurde für die Phönizier ein derart starkes Kulturgut, dass sie auf Münzen verewigt wurde; das arabische Wort madraba bedeutet so viel wie „Ort, an dem geschlagen wird“.

Dem Wissen der Japaner:innen wiederum ist es zu verdanken, dass die Almadraba heute eine weitaus weniger blutige Angelegenheit ist. Sie suchen seit einigen Jahrzehnten die Küste von Cádiz auf und kaufen einen großen Anteil des Almadraba-Thunfisches, weil der Bestand an Blauflossenthunfischen in ihren eigenen Gewässern stark dezimiert ist. Durch die Japaner:innen hat die Qualität noch einmal deutliche Sprünge gemacht – Stichwort stressfreier Tod. Heutzutage werden die Thunfische in Sichtweite der Küste im copo, der letzten, unten geschlossenen „Kammer“ des Almadraba-Netzsystems, von Taucher:innen mit einer Art Bolzenschussgerät in Sekundenschnelle getötet. An Bord der Boote wendet man außerdem die japanische Ikejime-Technik an, die mit gezielten Stichen an neuralgischen Stellen im Fleisch der Tiere für Entspannung sorgt. Noch während die Boote auf dem Meer sind, werden die Thunfische in eingelassenen Kühlboxen auf Crushed Ice gelegt.

Früher, vor dem Einsatz der Taucher:innen, war die Almadraba für die Fischer:innen deutlich gefährlicher, erzählt man bei Gadira, dem hiesigen Platzhirsch-Fischereiunternehmen. Die riesigen Tiere, rund 180 Kilo schwer, wurden einst lebendig ins Boot gehievt und dort brutal erschlagen. Ihre heftige Gegenwehr ließ dabei nicht wenige Fischer:innen über Bord gehen und ertrinken.

Gadira übernimmt alles: vom Fang über das Ronqueo – das kunstvolle Zerlegen des Thunfischs – bis hin zum Export.

Gadira mit Sitz im Almadraba-Zentrum Barbate, einem zwischen Cádiz und Marbella gelegenen Städtchen, erledigt vom Fischen bis zum Ronqueo, dem Zerlegen der Thunfische, und dem Export alles. Die Almadraba ist ein saisonales Business. Von Februar bis April werden Bojen, Anker und Netze vorbereitet. Das kilometerlange Stellnetzsystem wird im Meer installiert: Es richtet sich nach den natürlichen Routen der Thunfische und erlaubt durch die Dimensionierung seiner Netzmaschen, dass nicht ausgewachsene Thunfische und alle anderen Fische das Weite suchen können.

Von April bis Juni findet das Fischen statt, wobei die Fangquoten von der ICCAT, der Internationalen Kommission für die Erhaltung der Thunfischbestände im Atlantik, überwacht werden. Im Juli werden die Netze abgebaut und verstaut.
Sobald ein Boot den Hafen von Barbate erreicht hat (stets in Anwesenheit eines oder einer Beauftragten der ICCAT), kommen die Thunfische sofort in die Ronqueo-Halle direkt am Kai: Mit einem kleinen Kran werden jeweils zwei der mächtigen Tiere mit der Schwanzflosse nach oben aus dem Eis gehievt und zur Rampe der Halle hinüberbefördert.

Dort warten orange und blau gekleidete Arbeiter:innen und ziehen mit routinierten Griffen die schwere Fracht hinein. Dann startet das Ronqueo, das Zerlegen. Ein handwerkliches Schauspiel mit klarer Dramaturgie. Die einen halten mit großen Haken die Thunfische an Ort und Stelle, während erfahrenere Kolleg:innen mit riesigen, säbelartigen Messern gekonnt die nötigen Schnitte ins dunkelrote Fleisch setzen, ebenso rasant wie präzise.

Die Arbeitsschritte beim Ronqueo, der Kunst des Thunfischzerlegens,
gleichen einem Schauspiel mit genauer Dramaturgie.

Über 20 verschiedene „Cuts“ sind es bei Gadira: von der ventresca aus dem Bauch, dem fettesten und weichsten Teil des Thunfisches, über das magere lomo blanco, das Filet, bis zu den orejas, den Ohren, die man für Gelatine und Brühen verwendet. Die verschiedenen Teile werden sogleich sortenrein in stählerne Regale geräumt und mit Gabelstaplern hinausgebracht. Eine Qualitätsmanagerin mit Klemmbrett und Haarschutz überwacht das Geschehen mit strengem Blick. In der modernen Produktionshalle von Gadira direkt in Barbate wird der Almadraba-Thunfisch schockgefroren – auf den Temperaturanzeigen der großen Kühlräume sind Temperaturen um -60 °C abzulesen. Dies dient der Lebensmittelsicherheit: Vor allem dem eventuell vorhandenen Fischparasiten Anisakis muss der Garaus gemacht werden.

Der Verkaufsraum von Gadira ist nur wenige Schritte von den eisigen weißen Räumen entfernt, in denen unter anderem Steaks gesägt werden und der Fettgehalt überprüft wird. Frauen aus dem Ort kommen, um vor den ansprechend bestückten Kühlvitrinen zu gustieren, sie kaufen Thunfischherzen (für Salate oder Pasta), frischen Rogen, der gern frittiert oder zu einer Creme verarbeitet wird, oder diverse Teile zum Schmoren. Tourist:innen decken sich indes mit haltbar gemachtem Almadraba-Thunfisch ein – mit Dosen, Gläsern oder einer besonderen Spezialität: Die gesalzene und luftgetrocknete Mojama gilt als der „Jambon des Meeres“ – Kilopreis ab Hof: 100 Euro.

Entlang der Küsten von Cádiz sind mehr als zwanzig verschiedene Schnitte des Blauflossen-Thunfischs bekannt – jeder mit seinen eigenen Besonderheiten.

Die Japaner:innen, denen man in Barbate mit gemischten Gefühlen begegnet, haben nicht nur den Umgang mit dem Fisch auf den Booten modernisiert; sie waren es auch, die auf den hiesigen Speisekarten frischen rohen Thunfisch und bisweilen auch Sojasauce dazu verankerten. Bis dahin wurde Almadraba-Thunfisch hauptsächlich in Dosen für den Rest des Landes und darüber hinaus konserviert. Den Einheimischen blieben die damals eher missachteten Teile, etwa solche aus dem Kopf, die ideal zum Schmoren sind, ähnlich wie Rindsbäckchen.

Im Traditionslokal El Campero in Barbate zelebriert man die Vielfalt der Thunfisch-Cuts schon lange. Auf der Speisekarte steht das deftige, zwiebelreiche Schmorgericht Mormo de atún encebollado, aus einem geschmacksintensiven Nackenstück zubereitet, ebenso wie Sashimi aus verschiedenen Teilen wie dem descargamento: tiefrot leuchtende, äußerst exakt geschnittene Quader aus nahezu faserlosem Fischfleisch – eine bessere Thunfischqualität wird man selten finden. Das El Campero bietet sogar ein ganzes Thunfischmenü mit Sherrybegleitung.

Es war genau dieses Restaurant, in dem der Stargastronom und Sternekoch Dani García die Bandbreite der andalusischen Thunfisch-Cuts entdeckte. García, in Marbella aufgewachsen, führt mittlerweile eine Restaurantgruppe mit über zwanzig Lokalen, außerhalb Spaniens beispielsweise auch in Dubai, Budapest und Miami. Zum Almadraba-Thunfisch hat der Chef von über 1200 Mitarbeiter:innen längst eine enge Beziehung. Der hochkarätige Fisch steht (stets samt Almadraba-Präfix) in Garcías legerem Bibo am Flughafen von Málaga ebenso auf der Karte wie im Lobito del Mar in Madrid, wo man ihn in Form von Tatar huldigt, in einer Terrine gemeinsam mit Iberico-Schwein oder ihn grillt. Die Gäste können, analog zu einem Steakhaus, aus zahleichen Cuts wählen. Auch in Dani Garcías Smoked Room in Madrid, einem intimen „Fire Omakase“-Restaurant mit zwei Michelinsternen und nicht viel mehr Sitzplätzen mit Blick auf die offene Küche, setzt man während der Almadraba-Saison auf den Weltklasse-Thunfisch: Ein Stück aus dem Wangenbereich, die sogenannte galete, bildet den Hauptgang des proteinreichen und sichtlich japanisch beeinflussten Degustationsmenüs.

Auch im Lobito del Mar in Madrid wird der Blauflossenthunfisch angeboten.

Der verantwortliche Küchenchef des Smoked Room, Massimiliano Dello Vedove, erklärt die Details: Die schweinsbäckchengroßen galete, von denen jeder Thunfisch zwei zu bieten hat, werden über der Glut hängend stundenlang sanft gegart, und zwar noch am Knochen. Währenddessen werden sie immer wieder mit einer mit Sojasauce gewürzten Brühe aus Thunfischknochen bestrichen, sodass ihr Fleisch mit der Zeit karamellisiert. Zuletzt löst man die Teile vom Knochen, glasiert sie mit einem Lack aus Schweinsschwänzchen und Sherry und toppt das Ganze mit geräuchertem Störkaviar. Ein bemerkenswertes Gericht, dessen zwischen Fisch und Fleisch changierender Charakter für Verblüffung sorgt.

Für die Menschen in Barbate und dem Rest der Region ist der Almadraba-Thunfisch Teil ihrer Identität, inklusive hauswandfüllender Graffiti und Kreisverkehr-Skulpturen. Jenen, die die weltweite Überfischung anprangern, die Gefährdung der Spezies Blauflossenthunfisch, entgegnet man hier mit einem stabilen Argument: Das Problem liege nicht bei der Almadraba, dieser dreitausend Jahre alten Methode mit ihren kleineren Booten, die überaus gezielt und nur wenige Wochen im Jahr zum Einsatz kommt und weniger als zwei Prozent des weltweit gehandelten Thunfisches ausmacht.

Vielmehr seien die monströsen internationalen Tiefsee-Trawler problematisch, die unter anderem mit Sonartechnik die Meere unsicher machen, ebenso wie die vielen Thunfischfarmen, die der Population auch Jungtiere mit Fortpflanzungspotenzial entnehmen und diese mästen. Einflussreiche andalusische Sterneköch:innen wie Dani García oder auch Ángel León positionieren sich als Hüter:innen der Almadraba: Bevor man an der Küste von Cádiz, der Wiege des Thunfischfangs, damit aufhöre, müsse erst überall sonst auf der Welt der Fang gestoppt werden.

Text
Anna Burghardt
Fotografie
Gadira, PR
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