Die Geschichte
der Bootsschuhe

Fashion and Beauty

Es gibt Modeerscheinungen, die kommen wie Ebbe und Flut. Und es gibt Klassiker, die, einmal an Land gespült, für immer bleiben. Der Bootsschuh ist so ein Klassiker. Seine handwerkliche Qualität, nonchalante Eleganz und vielseitigen Einsatzmöglichkeiten werden auf der ganzen Welt verstanden und geliebt. Ursprünglich für Segler:innen entwickelt, hat er längst das Deck verlassen und Kurs in Richtung Modewelt genommen.

(Aus dem Archiv) Viele der guten Geschichten und Erfindungen beginnen mit einem Ausrutscher, einem Versehen oder einer schieren Notwendigkeit. Diese hier fällt eindeutig in die erste Kategorie – und zwar nicht nur im übertragenen Sinne.

Wir machen eine kurze Kehrtwende und segeln zurück in das Jahr 1935. An Bord des passionierten US-amerikanischen Hobby-Seglers Paul A. Sperry vor der Küste Long Islands trug sich Folgende zu. Das glatte Deck seiner Yacht brachte Sperry nicht nur regelmäßig ins Straucheln, sondern mitunter auch zu Fall. Was nicht nur recht schmerzhaft war, sondern den Mann mit Tatendrang und Innovationsgeist darüber hinaus extrem frustrierte. Bis ihm die zündende Idee beim Blick auf die Pfoten seines Cockerspaniels Prince kam, der nie mit derartigen Problemen an Deck zu kämpfen hatte. Die feinen Rillen seiner Ballen schienen ihm der Schlüssel zur Rutschfestigkeit zu sein.

Kurzerhand schnitt er mit seinem Rasiermesser Lamellen in die Gummisohlen seiner Schuhe. Dieser Akt sollte später mal als „Razor Cut“ bekannt werden und die Geburtsstunde einer neuen Ära an Segelschuhen markieren. Sperry kombinierte daraufhin seine neuen Sohlen mit einem einfachen Oberschuh aus Baumwolle und einem rundum laufenden, von Ösen geprägten Schnürsystem, um den Schuh noch fester an den Fuß zu binden – ein Detail, das bis heute als Markenkennzeichen gilt. Der „Sperry Top-Sider“ war geboren – ein Schuh, der nicht nur Segelgeschichte schreiben sollte, sondern auch gerne neue Gewässer erkundet: wie die Welt der Mode.

Bevor der Bootsschuh in der Welt der Mode ankern sollte, wurde Sperrys Schuh bereits im Jahr 1940 Teil der offiziellen Uniform der US-Marine – funktional, unverwüstlich und, ganz nebenbei, eigentlich ziemlich schick. Genau das, was Seeleute brauchen. 

Ein Klassiker – neu interpretiert von Celine.

Nicht nur für Seeleute
Doch nicht nur sie: schnell entwickelte sich der Bootschuh zu einem Statussymbol und Erkennungszeichen unter Gleichgesinnten – jenen jungen, gut situierten Neuengländer:innen mit Zugang zu Yachtclubs und Eliteuniversitäten, die Bootsschuhe samt Chinos, Polos und gestreiften Hemden zur sommerlichen Grundausstattung zählten. Zu den bevorzugten Marken unter Kenner:innen und echten Seemännern und -frauen gehörten damals (wie auch heute) Sebagos, Timberlands, Paraboots und natürlich die Originale von Sperry. Dieser sportlich-luxuriöse Ostküstenstil, auch bekannt als Preppy-Style, schwappte in den 1980ern über den Atlantik nach Europa und kehrt seither in Wellen immer wieder zurück – und mit ihm der Bootsschuh.

Jene Welle, die sich letztes Jahr erhoben hat, ist besonders groß. Die US-Vogue rief daraufhin sogar das „Jahr der Bootsschuhe“ aus. Und die Designer:innen folgten diesem Ruf. Ob bei Celine, Prada oder Miu Miu: Fast alle haben den Klassiker neu interpretiert – ob mit Plateausohle, aus veganem Leder, glänzendem Lack oder gar aus Denim. Besonders begehrt: die Modelle von Miu Miu, die nur mit besonderen Connections zu erhalten sind.

Wer es noch exklusiver, aber zurückhaltender mag, greift zu Modellen von Quoddy, die in Handarbeit in Maine gefertigt werden, oder zu den luxuriösen Interpretationen von Loro Piana, bei denen feinstes Kalbsleder auf technische Innovation trifft. Auch französische Traditionshäuser wie J.M. Weston oder italienische Manufakturen wie Velasca bieten Alternativen für all jene Kenner:innen, die Wert auf Authentizität und Stil legen.

Auch wenn die Silhouette bleibt, obwohl man sie das eine oder andere Mal schon etwas genauer suchen muss, hat sich inzwischen vor allem der Kontext verändert. Heute geht es weniger um Rutschfestigkeit als darum, ein modisches Statement zu setzen: eine Wiederbelebung des Preppy-Chics gepaart mit modernem Minimalismus und dem Gespür für Klasse. Anstelle von Gangway heißt es jetzt Catwalk – Streetstyle statt Yachtclub.

Anstelle von Gangway heißt es jetzt Catwalk – Streetstyle statt Yachtclub.

Zu den begehrtesten Bootsschuhe gehören sicherlich die Modelle von Miu Miu.

Zurück an Bord
Trotz der modischen Extravaganzen kehren wir nun noch einmal zurück an Bord. Denn das könnte für den bevorstehenden Sommerurlaub durchaus relevant sein. 

Wer eine Yacht betritt, weiß: Hier gelten eigene Regeln, die es unter allen Umständen einzuhalten gilt. Regel Nummer eins: Straßenschuhe bleiben draußen. Sie bringen nicht nur Schmutz an Bord, sondern könnten auch das empfindliche Teakdeck beschädigen. „Non-Marking“ lautet hier das Zauberwort. Alles, was Streifen und Dellen hinterlässt, ist tabu. Stattdessen sind Modelle mit abriebfreien und nicht abfärbenden Gummisohlen mit Siping-Profil, das auch bei Nässe sicheren Halt bietet, erwünscht. Stöckelschuhe werden als der Feind jedes Decks betrachtet. Und dann wäre da noch die Barfußregel. Sie besagt, dass an Bord entweder explizit für den Bootsbetrieb zugelassene Schuhe getragen werden dürfen – oder eben gar keine. Klingt verlockend, ist aber umstritten. Auf kleineren Yachten wird sie oft toleriert, auf größeren aus Sicherheits- oder Hygienegründen nicht gerne gesehen. Bleiben also nur noch Boots- oder Deckschuhe. Aber worin besteht eigentlich ihr Unterschied?

Segel setzen für den Sommer — Sebagos ikonische Bootsschuhe sind gemacht für Meeresbrisen und Großstadtpflaster.

Bootsschuh vs. Deckschuh
Die Begriffe „Bootsschuh“ und „Deckschuh“ werden oft synonym verwendet – nicht ganz korrekt, aber durchaus nachvollziehbar. Genau genommen ist der Deckschuh eine funktionale Unterkategorie des Bootsschuhs: reduziert, robust und ausschließlich für den Einsatz an Bord gemacht.

Während sich der klassische Bootsschuh längst hinaus in die Welt gewagt hat und sich stilistischen Freiheiten hingeben kann – von unterschiedlichen Materialien, Formen bis hin zu auffälligen Farben –, bleibt der Deckschuh kompromisslos seinen maritimen Wurzeln treu: So muss er rutschfeste, helle Sohlen haben, salzwasserresistent sein, aus geöltem Rinds-oder Nubukleder bestehen (das ist wasserresistent und lässt die Haut dennoch atmen) sowie über das charakteristische 360°-Schnürsystem verfügen, um bei starkem Seegang nicht über Bord zu gehen.

Wer seine Schuhe barfuß tragen möchte – was absolut üblich ist –, sollte auf ein besonders weiches Innenleder achten, das nicht scheuert. Apropos Passform: Bootsschuhe weiten sich mit der Zeit leicht – wenn sie also zu Beginn etwas eng sitzen, ist das kein Nachteil, sondern ein Zeichen von Qualität. Außerdem sehen sie immer besser aus, je mehr Kratzer, Falten und Flecken das Leder aufweist. Denn dann erzählen sie uns Geschichten von der großen Freiheit und dem Wind in den Segeln.

Ob sie nun der Klassik verpflichtet oder der Moderne zugetan sind: Bootsschuhe beweisen immer wieder auf Neue, dass sie mühelos zwischen Tradition und Zeitgeist navigieren können, ohne dabei vom Kurs abzukommen. Ob auf dem Wasser oder darüber hinaus.

Stille Eleganz auf den Füßen – der Bootsschuh von Loro Piana.
Text
Eva Mühlbauer
Fotografie
PR
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